Es reicht! Endgültig! Wer kommt auf solche Ideen? Haben die Entscheider nie was mit Kindern zu tun gehabt? Worum es geht? Es geht um Schreibschrift. Das, was man in der Grundschule lernt, in der weiterführenden Schule nicht mehr lesen kann und im Beruf heutzutage nicht mehr braucht.
So denken zumindest einige. Deswegen müssen Schüler in Hamburg nicht mehr zwingend Schreibtschrift lernen. In der Süddeutschen Zeitung wird noch anders gedacht, aber wie lange noch? Auch die ZEIT denkt über das Ende der Schreibschrift nach.
Warum wird darüber nachgedacht? Die Schreibschrift ist zu schwierig für die Kinder zu erlernen (als ob Mathematik einfacher wäre), benötigt wird sie nicht mehr (alles nur noch Email, SMS, facebook, SIRI, etc.) und lesen kann sie sowieso keiner.
Schreibschrift ist zu schwierig
Der erste und letzte Grund ist dabei in meinen Augen kein Grund. Die Schreibschrift ist so schwierig für die Kinder zu erlernen, weil sie nicht sinnvoll entworfen wurde. Keine Ahnung, was Herr Heinrich Grünewald sich damals gedacht hat, aber an die Kinder hat er zumindest nicht gedacht. Die taz schreibt dazu:
Bis zum Zeitpunkt ihrer Einführung mussten Texte in Schreibschrift für Bücher umständlich mit der Hand geschrieben und teuer reproduziert werden.(…)Diese neue Schreibschrift konnte im Lichtsatz mit der Maschine getippt werden wie jede andere Satzschrift auch. Eine enorme Ersparnis für die Schulbuchverlage.
Hauptsache wieder Geld gespart. Aber was ist nun eigentlich das Problem? Darüber habe ich lange mit der Schriftexpertin Susanne Dorendorff unterhalten. Das Ergebnis: Die Schrift ist nicht natürlich. Wörter mit mehr als drei Buchstaben lassen sich nicht ohne abzusetzen schreiben. Das ist vollkommen unnnatürlich. Und der zweite Punkt: Die Schrift ist viel zu eckig entworfen. Schaut man, wie Stifte in Schreibladengeschäften ausprobiert werden, sind es immer runde Bewegungen. Nie eckige!
Wozu führt das schreiben von langen Wörtern ohne abzusetzenin einem eckigen Stil: zu einer Handverkrampfung. Lösung: Die Schüler brauchen andere Stifte! Juchuu, wieder einen neuen Markt aufgetan. Man kann eckige Stifte, dicke Stift, Griffhilfen und weiß der Himmel nicht noch alles auf den Markt bringen. Denn diese Mulden und dicken und zu langen und zu kurzen Stifte verkrampfen die Kinderhand. Und aus Krampf wird dann irgendwann Kampf und damit auch ein Hass der Kinder auf die Schrift.
Was tun, wenn der Kampf schon jeden Tag am heimischen Esstisch auftritt? Frau Dorendorff hat hierzu netterweise ein paar Tipps, von denen ich hier drei nennen möchte:
- Der Stift sollte ungefähr die doppelte Länge des Zeigenfingers haben.
 - Der Stift hat liegt entspannt in der Verbindung von Daumen und Zeigefinger.
(Das geht bei vielen dünnen Filzstiften zum Beispiel nicht) - Der Stift ist rund oder hat sechs Seite wie ein normaler Bleistift, damit er während des Schreibens gedreht werden kann. So bleibt die Hand entspannt.
Füller sollten keine Griffmulde haben, damit sich eine natürliche Haltung entwickelt. 
Weiter Informationen finde sich auf der Internetseite von Frau Dorendorff.
In Zukunft wird nicht mehr mit der Hand geschrieben
In Zeiten von SIRI und Smartphones erscheint es immer wahrscheinlicher, dass wir irgendwann auf das Schreiben von Hand verzichten werden. Leider! Denn als Lehrer werde ich nie darauf verzichten und werde es von meinen Schüler immer einfordern. Warum? Weil der Schüler sich beim Schreiben schon einmal den Stoff gründlich angeschaut hat. Wort für Wort.
“Aber dann könnte man auch Tippen oder Diktieren” könnte man als Einwand bringen. Stimmt. Aber das handschriftliche Schreiben ist etwas anderes. Es ist etwas sinnliches, haptisches. Man ist emotional beteiligt. Das sind zwar Männer bei der Benutzung ihrer iPhones auch, wie Arte am 13.12.2011 in ihrem Beitrag “Das Coolness-Diktat” gezeigt hat. Aber die Qualität ist eine andere. Mit einem Stift zu schreiben aktiviert andere Hirnregionen als an einem Computer zu sitzen und zu tippen oder in ein Smartphone zu diktieren.
Das was geschrieben wird, hinterlässt beim Schreiben schon so eine Art Schatten und je öfter man etwas schreibt, desto mehr wird aus diesem Schatten ein Bild. Heißt es nun “Billiard” oder “Billard”? Schreibt man beides nieder und vergleicht das geschriebene Wort mit dem inneren, so merkt man schnell, dass “Billard” richtig ist.
Und so geht es mit vielen Dingen, die wir vor allem in der Schule lernen müssen: Der Aufbau der Amphibien, die binomischen Formeln, die Erzählmaus, …
…und…
Schreiben ist fast so alt wie die Menschheit selbst. Es ist fest im Menschen verankert. Angefangen bei den ersten Höhlenmalereien und den Babyloniern mit ihrer Keilschrift. Erst mit dem Aufkommen der Schrift ist eine Entwicklung der Menschheit zum heutigen Zivilisation-Stand möglich geworden.
Kulturen, die sich vor allem auf das Erzählen beschränken, sitzen heutzutage noch in einfachsten Lehmhütten oder Leben ein sehr einfaches Leben im Urwald. Nicht das sie nicht glücklich wären. Aber wollen wir zu diesem Stand zurück? Wirklich? Nein?
Liest man bei Marshall McLuhan nach, so hat dieser schon in den 1960er Jahren erkannt, dass wir uns auf ein globales Dorf zubewegen in dem mehr gesprochen als geschrieben wird. Und das, obwohl es damals noch nicht solche Computer gab. Aber was machen wir? Wir, und ganz besonders unsere Jugend, sitzen um das Dorffeuer facebook und plaudern und spielen. Und am Ende wird sich keiner erinnern können was gesagt wurde und in ein paar Jahren wird es auch nicht mehr aufzufinden sein. Denn das ist unser nächstes Problem.
Die Halbwertszeit unser schriftlich festgehaltenen Wissen ist bedenktlich kurz. Schon jetzt habe ich Dateien, die ich nicht mehr öffnen kann, weil es das Programm nicht mehr gibt. Und ich denke mal, dass es in 1000 Jahren kein Word374 geben wird. Und selbst wenn. Die Datenträger haben bis dahin nicht gehalten. Aktuelle CDs oder DVDs halten ungefähr 15 Jahren. Festplatten 5 bis 10 Jahren. Dann lassen sich die Medien nicht mehr lesen.
Zu Schreiben ist Kulturgut. Unsere ganze heutige Zivilisation basiert auf dem Schreiben auf dauerhaften Materialien und sollte daher in der Schule durch Ausstellungen und im Unterricht entsprechend gewürdigt und gefördert werden.
Gegen den Einsatz von modernen Medien habe ich nichts, aber sie sollten niemals das Handschriftliche ganz Verdrängen. Und zum Glück habe ich viele Kollegen, die bei den digitalen Tafeln auch zuerst fragen, ob da eine Handschrifterkennung mit dabei sei.
Die Lust zu schreiben ist also noch da. Und auf meinem iPad habe ich vor allem eine Software gesucht, mit der ich handschriftlich arbeiten kann.




