Studienberechtigung vs. -befähigung

In der heutigen Ausgabe des FAZ am Sonntag ging es hoch her. Auslöser war wohl die Vereinheitlichung des Abiturs. Dazu möchte ich einfach die schönsten, interessantesten und provozierensten Aussagen kurz zusammenfassen.

Im Ergebnis laufe es auf einen “inhaltlichen Minimalismus” hinaus, “der sich als ‘lernen lernen’ verkauft”, so Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes. Inhalte und Wissen würden nebensächlich, selektives Lesen (“literacy”), Präsentieren (Powerpoint), Diskutieren und Rechnen für den Alltagsgebrauch stünden im Vordergrund.
Der Lehrer mutiere zum “Moderator” und “Supervisor”, der nur noch “Lernzirkel” und “Materialtheken” anbiete und ansonsten auf “selbstgesteuertes Lernen” setze.

Ein Stundent dazu in einem Forum:

“Die Grundlagen aus der Schule waren in meinem Studium nicht mal für die allererste Woche im ersten Semester ausreichend.(…) während in den Physik-Vorlesungen Kenntnisse benötigt und vorausgesetzt wurden, die weit über das Abitur-Niveau hinausgehen, um überhaupt sinnvoll anfangen zu können”, so ein Student in einem Online-Forum.
Dazu habe ich aufgrund der Unterforderung in der Schule nie gelernt, zu lernen, so dass ich heute erhebliche Probleme habe, wenn ich mir Dinge aus Büchern und anderen Quellen mühsam zusammensammeln muss.

Ganz besonders schlimm, muss das Defizit in Mathematik sein, was sich vor allem an den Abbrecherquoten in den naturwissenschaftlichen Fächern zeigt. In Mathematik, Informatik, Maschinenbau, Chemie und Physik brechen im Schnitt 50%-40% der Studenten ab.

Der Umgang mit Termen, Gleichungen, Geometrie- und Trigonometriekenntnissen würde zunehmend aus der Schulmathematik gestrichen. (…) Hinzu kämen die Folgen des zu frühen Einsatzes von Taschenrechnern.
Irgendwann hat die Spielerei ein Ende. (…) Die Lehrer müssen auch überprüfen und korrigieren, was sie unterrichten.

Was heißt das jetzt für mich und meinen Unterricht? Unterrichte ich auch zu “niveaulos”? Bringe ich meinen Schülern bei, wie man aus Büchern lernt? Wie man selbstständig lernt? “Drille” ich genug – gerade in der Mathematik – beim Rechen mit Termen zum Beispiel? Ist ein Konzept wie der “Flipped Classroom” in diesem Zusammenhng sinnvoll oder macht es langfrisitg nicht doch mehr kaputt, obwohl doch immer wieder von positiven Ergebnisse berichtet wird? Hat Prof. Spitzer mit der “Digitalen Demenz” doch recht?

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4 Kommentare

  1. Mir ging es in der allerersten Mathe-Vorlesung an der Uni ähnlich wie dem o.g. Physik-Studenten: “Die Körperaxiome der reellen Zahlen, bitte schreiben Sie mit” und los ging die Achterbahnfahrt. Der blanke Horror!
    Allerdings ziehe ich daraus vollkommen andere Schlüsse: Was mich damals gerettet hat, war einzig und allein meine Fähigkeit mir selbständig begreiflich zu machen und zu erarbeiten, was da plötzlich gefordert wurde. Kein Mathe-LK der Welt hätte mich *inhaltlich* darauf vorbereiten können, da bin ich mir sicher. Aber *methodisch*, Lernen lernen, Problemlösefähigkeiten usw. – da wäre ein “modernerer” Unterricht sicher hilfreich gewesen! Ich habe einen Mathe-Unterricht genossen, der selbst im LK schematisches Aufgabenlösen trainiert hat, so wie es im Abi dann auch gebraucht wurde. Ich bin sehr froh, dass das heute nicht mehr ganz so ist. Meine Fachleiterin am Seminar sagt immer: “Sie müssen sich darüber klar werden, dass sie eine Entscheidung treffen, ob sie die Leute nur aufs Abi hindrillen oder deren Problemlösefähigkeiten und evtl auch das Interesse am mathematischen Denken wecken wollen, evtl. sogar auf Kosten von 1-2 Punkten im Abi!”
    Allerdings, und das muss man wohl auch laut sagen: Die Basics müssen eben doch sitzen und deshalb auch immer wieder trainiert werden. Womöglich helfen da ja Lerntheken und flipped classroom auch. Kann ich noch nicht beurteilen, aber ich merke schon, dass jede Sekunde, in der nicht ich rede, sondern die Schüler selbst arbeiten, wertvoll ist!

    1. In meinem Physik-LK hatte ich einen leidenschaftlichen Physiker, der mit Formeln Achterbahn fuhr, aber sich nicht zu schade war, uns zum 100. Mal die Herleitung von F=m*a zu erklären und uns regelmäßig mit eigenen Fotos vom Sternenhimmel beglückte. In den ersten Ferien hab ich geheult, weil ich nichts verstand. Ich blieb aber im LK. Bis zum Abi wurde es nicht besser, aber bei der Vorbereitung zum Abi habe ich plötzlich die Zusammenhänge erkannt und ich war stolz darauf, durchgehalten zu haben. In meinem ersten Semester Mathe an der Uni ging es genauso wieder los. Axiome, Sätze und Beweise flogen mir nur so um die Ohren. Aber durch meine Erfahrungen aus dem Physik-LK war ich mir sicherer, dass ich nur durchhalten muss, zur Klausur würde es besser. Und das wurde auch! Wäre der LK inhaltlich geringer gefüllt gewesen, hätte ich womöglich nicht so viel Durchhaltevermögen gelernt, das ich beim Mathestudium benötigte.

      1. Und, welche Unterrichtsform wurde gewählt? Wahrscheinlich doch der Frontalunterricht. Manchmal gibt es eben nicht Besseres als richtig gut gemachten Frontalunterricht. Einen Unterricht, der mitreißt und spannende Fragen aufwirft und dann aber beantwortet, Zusammenhänge aufzeigt und einen bei der Hand nimmt.
        So, wie man vielleicht mit einem kleinen Kind durch den Zoo geht. Das Kind wird nie alles erkennen und entdecken. Man muss ihm die Besonderheiten schon zeigen und es darauf aufmerksam machen. Ihn auf die besonderen Füße eines Geckos hinweisen und vielleicht einfach mal fragen: “Kann ein Gecko an einer Scheibe laufen, wie eine Fliege? Wenn ja, warum?” Und auf den ersten Blick sehen afrikanische und indische Elefanten auch gleich aus, aber sie sind es nicht – die Ohren! Und die wichtigste aller Fragen: Schmeckt das Wasser eigentlich nach ‘Rotze’, wenn man durch den Rüssel trinkt? Und warum haben eigentlich Vögel weißes ‘Kacki’ und nicht braunes wie wir?

    2. Oh, Gott! Meine erste Mathevorlesung, welch grauenvolle Erinnerung. Es gab keine Rechenzeichen, sonder nur Box, Raute und Grinser, also Smiley. Und dann wurde noch bewiesen, dass es nur eine einzige Null in den reellen Zahlen gibt. Der blanke Horror! Die Schule hat mich da, glaube ich, kaum darauf vorbereitet. Ich wurde eher aufs Abitur gedrillt. Und genauso mache ich es im Moment mit meinen Schülern. Ich versuche sie optimal aufs Abitur vorzubereiten, ich versuche immer wieder die Strukturen und Ähnlichkeiten in der Mathematik aufzuzeigen. Denn in meinen Augen ist Mathematik weniger Rechnen, sondern mehr die Lehre von den Strukturen. Ob es klappt und richtig ist – ich weiß nicht so recht. Man bekommt dann doch recht wenig Feedback von ehemaligen Schülern. Aber einmal traf ich einen Schüler im Zug und der meinte: “Jetzt weiß ich, warum sie genau so unterrichtet haben.” Ich habe das damals als Bestätigung verbucht und ich kann nur hoffen, dass das auch so gemeint war.

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